Spass an Ultradistanzen
Juana Vasella nahm Anfang Juni als einzige Frau aus der Schweiz an der 48 Stunden Ultralauf Weltmeisterschaft in Ungarn teil - Züri rännt hat sie hinterher für ein Interview angefragt.*
Juana, Du hast Anfang Juni an der 48 Stunden Ultralauf Weltmeisterschaft in Ungarn teilgenommen und bist dabei 316.33 km gelaufen, wie fühlten sich Kopf und Beine hinterher an, ist alles wieder im Alltag angekommen?
Vielen Dank für die Nachfrage! Ja, Kind und Arbeit haben mich nach meiner Rückkehr vom Balaton direkt wieder in den Alltag katapultiert. Zudem stand zwei Tage nach der WM bereits ein lockerer Dauerlauf von 30 Minuten auf dem Programm. Zum «Beine ausschütteln» wie mein Trainer das nennt. Ich fühlte mich natürlich noch nicht wieder frisch, aber trotz der müden Beine hat das Laufen schon wieder Spass gemacht.
Du hast nach der WM Teilnahme geschrieben, Du hättest 48 Stunden tatsächlich Spass gehabt und das Laufen im Kreis auf der Runde über 1 Kilometer genossen, ohne wirkliche Tiefs. Was meinst Du konkret mit «Spass»?
Ich konnte das langsame Laufen im Kreis geniessen, weil ich keine fixen Tempo- oder Kilometervorgaben hatte. Ich habe mich an der Bewegung an sich erfreut, war dankbar und glücklich, dass ich Stunde um Stunde weiterlaufen konnte, mit guter Laune und ohne Schmerzen.
Ich verstand diese WM für mich als kleines Abenteuer, weil ich bislang nie länger als 24 Stunden gelaufen war. Ich liess die einzelnen Stunden und verschiedenen Tageszeiten einfach auf mich zukommen, hatte mir zwar realistische Etappenziele gesetzt, war aber offen für Zwischenfälle oder Rückschläge.
So war ich ganz bei mir, konnte mich auf mich selbst und das Laufen konzentrieren. Keine Anrufe, keine Mails, keine Termine oder Fristen. Nur das Laufen und ich mit der Frage, wie lange und weit ich durchhalten würde…
Und nicht zu vergessen: Ein grosses Glück, dass mich mein Freund begleitet und betreut hat. Ohne ihn wäre ich nicht so weit gekommen, da bin ich sicher. Es heisst zurecht: «Ultraläuferinnen und Ultraläufer sind nur so gut wie ihr Supporterteam!»
Bist Du nach einem Plan mit fixen Verpflegungs- und Ruhezeiten gelaufen oder hast Du Deinen Wettkampf nach Gefühl gestaltet?
Ich hatte mich zunächst am Wettkampfplan von Michael Irrgang, einem erfahrenen Ultraläufer aus der deutschen Nationalmannschaft, orientieren wollen. Er ist sehr grosszügig mit seinem Wissen und teilt Tipps und Tricks auf der Website der «LG Ultralauf». Da wir eine ähnliche PB im 24-Stundenlauf haben, die ihm als Ausgangsbasis für die Planung seines 48-Stundenlaufs diente, wollte ich mich «an ihn dranhängen» und ebenfalls pro Stunde eine bestimmte Kilometerzahl erreichen.
Als ich diese Idee am Vorabend meinem Trainer unterbreitete, war dieser gar nicht begeistert. Er erklärte mir, dass die Orientierung nach Kilometern für mich als «Rookie» über 48 Stunden sehr gefährlich sei und ich stattdessen streng nach Herzfrequenz laufen solle und dabei von Beginn an jede Stunde unbedingt (kürzere oder längere) Pausen einlegen müsse. Es fiel mir schwer, schon am Anfang nur sehr langsam zu laufen sowie regelmässige Pflichtpausen zum Erholen, Essen und Umziehen einzulegen. Letztendlich hat sich diese Strategie aber ausbezahlt: Ich hatte am Ende noch Reserven, konnte die letzten 3.5 Stunden an Tempo zulegen und die letzte Runde sogar mit einer 4:30er Pace beschliessen.
Volkmar Scholz von «Den Laufpartnern» betreut mich erst seit März dieses Jahres, doch ich vertraue ihm schon voll und bin ihm sehr dankbar, dass er mich «zurückgepfiffen» und mir Geduld gelehrt hat.
Du bist mehrfache Schweizer Meisterin im 12- und 24-Stundenlauf und hast mit Deiner Leistung an der Ultralauf WM 2024 einen Schweizer Rekord in der Kategorie W45 aufgestellt, sind Titel und Bestmarken ein wesentlicher Anreiz für Dich?
Ich würde lügen, sollte ich behaupten, AK-Rekorde oder Treppchen-Plätze seien mir egal. Aber ich habe während der vielen Jahre im Ultramarathon gelernt, dass man über solch lange Distanzen nur mit und gegen sich selbst laufen darf. Sobald man sich an anderen Läuferinnen und Läufern oder strikten Zielen orientiert, können einem Fehler zum Beispiel bei Tempo oder Ernährung unterlaufen, die im schlimmsten Fall zu einer Aufgabe führen.
Als Du 2006 erstmals an einem Ultralauf teilgenommen hast, warst Du noch keine dreissig Jahre alt, was hat Dich als junge Läuferin am Ultralauf interessiert?
Zum Ultralaufen kam ich über körperliche Einschränkungen. Ich war zuvor ein paar Marathons gelaufen, stiess dabei aber schnell an meine Grenzen. Denn ich durfte keine Tempo- oder Intervalltrainings absolvieren, nur langsame Läufe abspulen. Ich litt an einer chronifizierten Perimyocarditis, einer nicht ungefährlichen Herzkrankheit. Die Ärzte sagten seinerzeit, ich werde wohl nie wieder wettkampfmässig laufen können, doch ich habe mir einfach nach einer längeren Zwangspause Stück für Stück das Laufen zurückerobert.
Da an ein schnelleres Training und damit sich verbessernde Marathonzeiten nicht zu denken war, habe ich die Läufe und Wettkämpfe ausgedehnt. Zwischenzeitlich hatte sich mein Gesundheitszustand verbessert; nach einer Weile erhielt ich grünes Licht vom Kardiologen und bald darauf stand ich an der Startlinie des 100-Kilometerlaufs in Leipzig, meinem erstem Ultra. Kurz darauf kamen die Stundenläufe hinzu. Die 12- und 24-Stundenläufe mochte ich bis anhin am liebsten, nun haben mich die 48 Stunden angezogen. Ich war und bin halt nicht schnell, ich halte nur lange durch. Auf regelmässige Check-ups beim Arzt besteht meine Familie im übrigen bis heute.
Du bist promovierte Juristin und ordentliche Professorin für Wirtschaftsrecht an der EAH Jena, übernimmst neu die Institutsleitung des Instituts für Unternehmensrecht an der ZHAW, bist Redakteurin des grössten Blogs zum Schweizer Wirtschaftsrecht, Autorin zahlreicher Publikationen und und und – wie hat in seinem solch engagierten Berufsleben noch die Leidenschaft Ultralauf Platz?
Ich liebe das Laufen! Es bedeutet für mich jeweils eine kleine Auszeit, etwas Abstand vom turbulenten Alltag. Ich glaube, dass mir die Lauferei trotz des Zeitaufwands und der Anstrengungen viel Kraft und Energie zurückgibt, was mir auch bei der Arbeit und sonst im Leben weiterhilft.
Gibt es für Dich sogar Synergien zwischen Beruf und Laufen?
Ja, in beiden Lebensbereichen helfen Ziele, Ausdauer, Resilienz, Empathie und Humor weiter. Und man sollte Freude an dem haben, was man tut. Unsere Lebenszeit ist begrenzt und Freude am eigenen Tun macht alles leichter und lässt einen besser werden.
Welche Trainingsinhalte stehen für Dich als Ultraläuferin im Vordergrund?
Ich mochte die langen Ausdauerläufe immer am liebsten. Ich bin aber keine Trainerin und setze nach etwa 14 Jahren «planlosem Laufen» jetzt auf Pläne von einem Trainer, die ich nun wöchentlich erhalte. Seither muss ich mir über das strukturierte Training keine Gedanken mehr machen, frage bei Unklarheiten oder zum Verständnis jedoch schon mal nach.
Bist Du mehr oder weniger ganzjährig im Training oder brauchst Du auch mal eine Pause?
Ich habe zwar keinen festen Jahresplan, gleichwohl unterteilt sich meine Trainingsplanung klassisch in verschiedene Phasen übers Jahr: Vorbereitung, Trainingspeak, Tapering, Wettkampf, Regeneration. Die Details der Periodisierung plant mein Trainer.
Welche weiteren Wettkampfpläne hast Du 2024?
Vorerst stehen ein Umzug von Deutschland zurück in die Schweiz und ein neuer spannender Job auf dem Programm. Das Training muss erst einmal etwas zurückstehen.
Vielleicht starte ich Ende Oktober über eine kürzere Distanz am Laufwochenende Brugg, wo traditionell 6-/12-/24- und 48-Stundenläufe ausgetragen werden, teils als Schweizer Meisterschaften. Ich bin schon oft in Brugg gestartet und fühle mich dort fast zuhause – eine perfekt organisierte und dabei familiär gebliebene Veranstaltung! Ich hoffe, ich sehe viele Freundinnen und Freunde aus der Ultrafamilie dort.
Danke an Juana Vasella für dieses Interview und weiterhin viel Spass auf den Ultradistanzen!
* Vor rund zwanzig Jahren haben wir Juana Vasella in Zürich als Läuferin mit Marathonplänen kennengelernt. Später verlor sich der Kontakt. Als wir dann von ihren Ultraläufen hörten, interessierten uns ihre Geschichte und ihr Weg.
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